Hoher Besuch

Nicht lange, nachdem man in den Gegenden nördlich der Alpen begonnen hatte, Wein anzubauen, beschloss
Bacchus, der Gott des Weines, auf Inspektionsreise zu gehen. Er wollte da oder dort ein paar Tipps geben,
Verbesserungsvorschläge machen und auch, wo es ihm angebracht schien, loben.

Als er endlich in der Wachau war, hatte er schon einiges erlebt: Man hat ihn als Besserwisser beschimpft, hat
ihn Kellertreppen hinunter- und aus Gaststuben hinausgeworfen. Müde war er, und auch ziemlich sauer. Was
dachten sich diese hochmütigen Menschen eigentlich. Glaubten die wirklich, sie verstünden mehr vom Wein
als Bacchus, der immerhin der Gott des Weines war?
Verärgert lie er sich am Ufer der Donau nieder, im weichen Sand unter einer mächtigen Ulme. Vom Rauschen
der Donau, vom Rauschen der Blätter und vom sanften Wind liebkost schlief er alsbald ein.

Er träumte einen wunderbaren Traum, in dem er und eine schöne Frau … nun, ihr wisst schon.
Es war ein sehr lebhafter Traum. Beinahe war ihm, als wäre die schöne Frau neben ihm wirklich, echt, lebendig.
So entschloss er sich, die Augen zu öffnen.
"War's schön?", fragte die Schöne neben ihm.
"Ojojojojojoj", sagte Bacchus. "Ganz außerordentlich! Könnten wir noch ein wenig weiter gemeinsam … träumen?"
Die Schöne lächelte, und Bacchus versank wieder in süßem Schlummer.

Am nächsten Morgen fühlte er sich ausgezeichnet.
Er wollte der Gegend, in der er sich so wunderbar erholt hatte, etwas Besonderes schenken. Und so segnete er
die Erde und den Himmel und die Donau, auf dass fortan in der Wachau der beste Wein der Welt wachse. Dann
machte er sich daran, seine Inspektionsreise fortzusetzen.

Er drehte er sich noch mal zur Donau um, und wirklich, die schöne Frau aus seinem Traum winkte ihm zu. Sie
saß - wie merkwürdig! - auf einem Stein mitten im Fluss und trug einen langen glitzernden Rock, der beinahe wie
ein großer Fischschwanz aussah.
Bacchus blinzelte und sagte, "Was es alles gibt", denn Fischfrauen hatte er bislang noch nie getroffen.
Dann rief er: "Bis bald!" und verschwand.

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